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== DivinelyDiverse ==
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Glaube. Hoffnung. Queerness.

Einwurf: Queere Exegese

In den wenigen Beiträgen, die ich hier bisher veröffentlicht habe, habe ich einen Schwerpunkt auf die Bibelauslegung gelegt - insbesondere durch eine queere Betrachtung der Josephsgeschichte. Die Josephsgeschichte habe ich einerseits gewählt, weil sich aus ihr sehr viel Queerness herausschälen lässt, andererseits, weil sie mit Joseph eine queere Identifikationsfigur insbesondere für trans und/oder nonbinäre Personen bietet. Darüber wiederspiegelt das, was Joseph widerfährt, die Schwierigkeiten und Freuden, die manche queere Biographie prägen. Insofern hat die Geschichte auch seelsorgliches Potenzial.

Was ich mit dem Doppelbeitrag zu Joseph aufzeigen wollte, ist, dass eine Geschichte je nach Blickwinkel ganz unterschiedlich gelesen werden und auch eine überraschende Bedeutung entfalten kann. Ebenso wollte ich die Freude an eigenem Suchen und Forschen wecken - es kann nämlich so richtig Spass machen, vermeintlich vertraute und auch noch unbekannte Geschichten aus ganz unterschiedlichen Perspektiven zu betrachten. Das zu tun ist weder illegitim oder besonders modern - wie wir gesehen haben, haben das ja schon die Rabbiner der ersten Jahrhunderte unserer Zeitrechnung komplett ohne Berührungsängste getan.

Obwohl mir queere Bibelauslegung Spass macht und noch sehr viel Queerness in Bibeltexten schlummert, lasse ich es zunächst bei diesen wenigen Beiträgen bewenden. Dies einerseits, weil Theologie viel mehr ist als reine Auslegung, andererseits auch, weil queere Exegese die Gefahr birgt, dass sie vor allem Apologetik betreibt, also letztlich dem Zweck dient, queere Existenzen aufgrund biblischer Texte zu begründen und zu rechtfertigen - und dabei über diese Rechtfertigungsversuche kaum hinauskommt.

Wissenschaftler*innen aus Geschichte und Geschlechterforschung haben aber schon längst aufgezeigt, dass queere Menschen zu allen Zeiten und über alle Kontinente hinweg gelebt haben - queer sowohl die Sexualität als auch die Geschlechtlichkeit betreffend. Entgegen einem häufigen Narrativ sind also auch trans und/oder nonbinäre Personen keine Phänomen, das in den vergangenen Jahrzehnten neu aufgekommen ist, sondern etwas, das es schon immer gegeben hat. Neu (und in stetigem Wandel begriffen) sind lediglich die Begrifflichkeiten, mit denen sich diese Menschen definieren oder von aussen defininiert werden.

Auf diesen Facts kann queere Theologie getrost aufbauen. Insofern möchte ich in meinen kommenden Beiträgen (die künftig regelmässiger erscheinen - versprochen!) einen Schritt weitergehen und Themen, die in Theologie und Kirche bedeutungsvoll sind, aus queerer Perspektive betrachten, sowie umgekehrt queere Lebenserfahrungen mit Theologie in Kontakt bringen. Die Perspektiven und Erfahrungen sind dabei immer meine ganz eigenen und persönlichen Perspektiven und Erfahrungen als nonbinäre trans Person - ich kann und möchte nicht für alle queeren Personen sprechen.