Lady Gagas queere Pop-Theologie
Deep inside I always knew
I don’t fit, yet somehow
I was not aware or didn’t
dare to be. They assigned me
a gender that never
felt like home.
Dies ist der Anfang eines Gedichtes, das ich vor mehreren Jahren im Zuge meines inneren Coming-Outs geschrieben habe. Der Text zeichnet in wenigen Zeilen den Weg meines Empfindens für meine Geschlechtsidentität nach - von der Kindheit bis zu dem Zeitpunkt, als ich meine Gefühle nicht mehr für mich behalten konnte.
Schon früh in meinem Leben habe ich gemerkt, dass ich in mancherlei Hinsicht nicht in diese Welt passe. Ordnungen und Systemen, die vielen Menschen Halt und Orientierung bieten und die manche als unabdingbar und unverrückbar ansehen, konnte ich nie viel abgewinnen. Es kam mir vor, als sei diese Welt nicht für mich gemacht - ich fühlte mich fremd darin - und fühle mich bis heute oft so.
Lange habe ich versucht, mich den vielfältigen gesellschaftlichen Erwartungen anzupassen. Wenn alle anderen das können, werde ich das auch schaffen, habe ich mir gesagt, und habe versucht, die Erwartungen, wer ich als “Mann” zu sein und wie ich zu leben habe, zu erfüllen - die ausgesprochenen und die unausgesprochenen. Nach aussen hin ist mir das wohl auf weite Strecken ganz ordentlich gelungen, und zeitweise war es auch innerlich okay - aber eben auch nicht mehr als das. Stimmig war es nie, bestenfalls neutral.
No matter gay, straight, or bi
Lesbian, transgendered life
I’m on the right track, baby
I was born to survive
[…]
I’m beautiful in my way
‘Cause God makes no mistakes
I’m on the right track, baby
I was born this way
(Lady Gaga)
Wann es genau war, dass mir Lady Gagas Song Born This Way begegnet ist, kann ich nicht mehr sagen. Jedenfalls wusste ich damals schon, dass sich meine Identität irgendwo im Transspektrum bewegt, und ich haderte auch nicht mehr damit. Dennoch traf mich der Song nochmals mit besonderer Wucht. Born This Way ist eine Art Hymne im Dancefloor-Stil, die Vielfalt der Menschen uneingeschränkt feiert, explizit auch unterschiedliche Formen von Queerness. Lady Gaga schafft es dabei nicht nur, Vielfalt als bedingungslos positiv zu feiern, sondern sie in einen göttlichen Zusammenhang zu stellen: God makes no mistakes, I was born this way.
Während einiger Tage habe ich mir den Song praktisch in Dauerschleife angehört (was für mich nicht unüblich ist). Bis heute fasziniert mich, wie Lady Gaga es schafft, mit Leichtigkeit, Selbstverständlichkeit und ohne den leisesten Hauch von Apologetik queere Identitäten und Lebensformen als gottgewollt hinzustellen, als integraler Teil der Schöpfung, und zu sagen: Siehe, es ist sehr gut (I’m on the right track, baby).
Born This Way hat mir vollends die Augen dafür geöffnet, dass meine queere Identität nicht defizitbehaftet ist, sondern gut ist, wie sie ist. Ich wurde so geschaffen.
Der Born-This-Way-Ansatz zur Erklärung queerer Identitäten ist jedoch nicht unumstritten. In der Entwicklung von Geschlechtsidentität und Sexualität spielen neben dem, was uns bei der Geburt mitgegeben ist, viele weitere Faktoren mit. So prägen Werte, Vorstellungen und Normen, die Eltern, Bezugspersonen, Gesellschaft oder Religion an uns herantragen, mehr oder minder stark mit, zu wem wir uns entwickeln. Bei mir hätten diese Faktoren jedoch dazu führen müssen, dass ich cis und hetero bin - queere Identitäten und Lebensformen hatten in meinem Umfeld kaum Platz und wurden weitestgehend abgelehnt. Dass es trotzdem anders gekommen ist, zeigt mir, dass mein Queersein auf einer tieferen Ebene bereits angelegt gewesen sein muss.
Deep inside I always knew I don’t fit…
Vermutlich war dieses Umfeld mit ein Grund, warum ich erst spät in meinem Leben realisiert habe, dass ich queer bin. Dennoch war schon immer ein Gefühl dafür da, nicht in die Normen zu passen, Erwartungen nicht erfüllen zu können. Aber heisst das nun, dass ich im Sinne von Lady Gaga sagen kann, ich sei so geboren, wie ich jetzt bin? Eine schwierige Frage… Rückblickend betrachtet wird mir klar, dass vieles schon angelegt war, dass mir vieles schon früher hätte auffallen und klar werden müssen. Doch fehlten mir Worte für das, was ich spürte, fehlte mir ein Umfeld, das mir Raum gelassen hätte, fehlte mir die eigene Offenheit, zuzulassen, was nicht sein durfte. Es war ein langer Weg, herauszufinden, wer ich bin - und zuzulassen, dass ich bin, wie ich bin. Mittlerweile hat sich das Gefühl eingestellt, endlich angekommen zu sein. Und dennoch bleibe ich weiterhin offen für Entwicklungen. Denn eines hat mich der ganze zurückgelegte Weg gelehrt: Identität ist nicht ein Zustand, sie ist ein Prozess.
Auch wenn ich nicht mit dem festen inneren Wissen geboren wurde, nonbinär zu sein, trans zu sein, glaube ich, dass ich genau so geboren wurde, wie ich bin. Nämlich als Mensch, der sich entwickelt, als Person, die sich nicht endgültig darauf festlegen muss, wer sie ist, sondern die unterwegs sein darf. In diesem Sinne bin ich Born This Way.